Kinderrechte und wie sie im Alltag funktionieren
Kinder und Erwachsene haben für gewöhnlich sehr unterschiedliche Interessen. Damit diejenigen des Nachwuchses in allen Bereichen des Alltags ausreichend berücksichtigt werden, macht sich die UN seit 30 Jahren für Kinderrechte stark. Wir erklären, welche Prinzipien dabei gelten und welche Rechte das sind.
Ein kurzer historischer Rückblick
Kinder sind die Zukunft, sie haben eigene Bedürfnisse, brauchen besonderen Schutz und sollten gut behandelt werden. Was nach heutigen Maßstäben so selbstverständlich klingt, war keineswegs immer so.
Vielmehr galten Kinder lange Zeit als Besitz ihrer Eltern, vor allem die Väter konnten weitgehend über den Nachwuchs verfügen: Ausbildung, Arbeit, das gesamte Leben wurden so bestimmt. Ein erster Schritt, um kindliche Belange von jenen der Erwachsenen zu trennen, war die Einführung der Schulpflicht. Im Laufe des 18. Jahrhunderts verschob sich zudem mehr und mehr die Perspektive. Menschenrechte im Allgemeinen gewannen an Bedeutung und mit ihnen auch die der Kinder.
Seit dem 19. Jahrhundert wurde ihr Schutz zunehmend gesetzlich abgesichert. Verbote von Fabrik- und Untertagearbeit für Kinder bis zum Ende des Grundschulalters, Strafen für Eltern, die ihre Pflichten gegenüber dem Nachwuchs vernachlässigten – auch das kommt uns heute selbstverständlich vor, musste aber erst über mehr als 300 Jahre erarbeitet werden.
Die ersten Bemühungen um eigene Kinderrechte gab es dann tatsächlich erst seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Charta von 1924 blieb allerdings ohne Rechtsverbindlichkeit und nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es noch bis 1959, ehe die Vereinten Nationen eine neue Erklärung der Kinderrechte verabschiedeten. Auf ihrer Grundlage entstand die UN-Kinderrechtskonvention, die 1989 angenommen wurde und seitdem als Maßstab für nationale Regelungen gilt.
Warum denn überhaupt Kinderrechte?
2019 wird das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ der Vereinten Nationen 30 Jahre alt. In dieser Zeit ist vieles zur Verbesserung der Situation von Kindern erreicht worden, aber gleichzeitig gibt es noch viel zu tun: Noch immer gehören Armut, ungleiche Bildungschancen oder Gewalt zum Alltag vieler Kinder – selbst in einem so reichen Land wie Deutschland.
Obwohl sie sehr viel schutzbedürftiger sind als Erwachsene, obwohl auch sie ein ungemein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft sind, waren ihnen vor der Kinderrechtskonvention nur einige wenige Passagen in der Menschenrechtserklärung gewidmet – und darin geht es vornehmlich um den Schutz der Kinder. Eine echte Teilhabe an ihrer Umwelt, wie sie für Erwachsene ganz selbstverständlich ist, gab es von Gesetz wegen zuvor nicht.
Damit die Bedürfnisse von Kindern aber nicht nur berücksichtigt werden (müssen), sondern diese auch die Gelegenheit haben, ihre Bedürfnisse selbst zu äußern, sind die Kinderrechte ein wichtiges und immer noch aktuelles Thema.
Die Grundprinzipien der Kinderrechte
Insgesamt 41 Artikel klären in der Kinderrechtskonvention ganz genau, welche Rechte im Einzelnen gelten und zu berücksichtigen sind. Geprägt ist das Übereinkommen dabei von 4 grundlegenden Prinzipien:
1. Das Diskriminierungsverbot
Unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Herkunft, seiner Religionszugehörigkeit, seiner Sprache, seiner Behinderungen oder seiner politischen Ansichten (und der seiner Eltern) darf kein Kind oder Jugendlicher diskriminiert werden. Kindern, die in Deutschland leben, muss deshalb Schutz, Förderung, Bildung und Beteiligung gewährleistet werden. Darin liegt außerdem die Grundlage für eine erfolgreiche Integration.
Positiv formuliert, beinhaltet das Diskriminierungsverbot, dass für alle Kinder die gleichen Rechte gelten.
2. Der Kindeswohlvorrang
Dieses Prinzip gibt dem Kindeswohl und den Interessen von Kindern bei allen Entscheidungen und Maßnahmen den Vorrang. Dem Kindeswohlprinzip sind ausnahmslos alle Institutionen verpflichtet von Gerichten über Verwaltungsbehörden bis hin zu öffentlichen und privaten Eirichtungen der sozialen Fürsorge – und auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen.
3. Das Recht auf Leben und persönliche Entwicklung Lebensrecht
Von Geburt an hat jedes Kind ein Recht auf sein Leben. Damit verbunden ist die Verpflichtung, „in größtmöglichem Umfang“ dafür zu sorgen, dass jedes Kind in einem geschützten Raum aufwachsen und seine eigene Persönlichkeit entwickeln kann. Hierbei sollen Kinder und Jugendliche in jeder Hinsicht gefördert werden. Das schließt die individuelle Entwicklung und aktive Teilhabe am Leben ebenso ein wie den Schutz vor Krankheiten und Gewalt.
4. Das Recht auf Beteiligung
Kinder müssen sich in allen für sie relevanten Angelegenheiten frei äußern dürfen, das heißt, sie müssen die Möglichkeit haben, ihre Anliegen und Beschwerden vorbringen zu können – und damit gehört zu werden. Deshalb müssen Kinder und Jugendliche auch bei staatlichen Entscheidungen die Gelegenheit haben, sich entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife daran zu beteiligen.
Die Themenbereiche der Kinderrechtskonvention
Die 41 Artikel der UN-Kinderrechtskonvention folgen aber nicht nur diesen 4 Grundprinzipien, sie lassen sich darüber hinaus in 3 große Themenfelder einordnen.
1. Die Schutzrechte
Damit das Schutzbedürfnis von Kindern und Jugendlichen in ausreichendem Maße berücksichtigt wird, beinhaltet die Konvention verschiedene Artikel mit Schutzrechten. Sie sollen verhindern, dass Kinder zu Opfern von körperlicher und seelischer Gewalt, sexuellen Übergriffen, Verwahrlosung, Kinderhandel und wirtschaftlicher Ausbeutung werden.
Diese Gruppe von Kinderrechten beinhaltet außerdem den Schutz von Minderheiten und den besonderen Schutz für Kinder mit Behinderungen. Alle diese Rechte (nicht nur die Schutzrechte) gelten dabei ausdrücklich auch für Kinder, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
2. Die Förderungsrechte
Kinder haben nicht nur Grundbedürfnisse, sondern auch ganz eigene. Die Förderungsrechte sollen dafür sorgen, dass diese wirklich befriedigt werden. Hierunter fallen Themen wie Gesundheit, Ernährung, Bildung, die Angemessenheit der Lebensbedingungen. Nicht zu vergessen die Bedürfnisse, die eigene Identität ausleben oder die Rolle als Bürger*in des Landes wahrnehmen zu können.
3. Die Beteiligungsrechte
Das Recht auf Beteiligung ist einer der Grundpfeiler der Kinderrechtskonvention. Entsprechend befassen sich mehrere Artikel mit diesem Thema, damit Kinder und Jugendliche nicht allein die Möglichkeit haben, ihre Meinung hörbar zu machen, sondern dass sie sich mit Hilfe von kind- und jugendgerechten Informationen und Medien überhaupt eine eigene Meinung bilden können.
Darüber hinaus lassen sich noch weitere Artikel finden, die zusammen in die gleiche Richtung zielen. Zum Beispiel umfassen mehrere Artikel der Konvention das Thema „Recht auf Fürsorge“, wozu auch etwas vermeintlich Banales wie die Identität (Name, Geburtsdatum, Familie, Geburtsland) gehören, obwohl die doch ein wichtiger Beleg für die Einzigartigkeit des Kindes ist.
Hierzu gehören aber auch alle Regelungen, welche die Beziehung zu den Eltern (selbst, wenn das nicht die leiblichen sind) und erzieherische Fragen betreffen. Manche Artikel stellen noch einmal unumstößlich fest, dass selbstverständlich auch Kinder und Jugendliche private Rechte haben. Diese beziehen sich auf ihr Bedürfnis nach Freizeit, Spiel und Ruhe genauso wie auf die Einhaltung ihrer Privatsphäre (z.B. in Form des Briefgeheimnisses).
Kinderrechte im Alltag
Prinzipiell, so wirkt es auf den ersten Blick, fassen die Artikel der Kinderrechtskonvention nur zusammen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Selbstverständlich sollten Kinder sagen dürfen, was sie sich wünschen. Selbstverständlich sollten ihre Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigt werden.
Tatsächlich ist die Situation von Kindern in Deutschland vergleichsweise gut. Das Gesundheitswesen gewährleistet den geforderten Schutz vor Krankheiten, der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz garantiert die Fürsorge, wenn die Eltern arbeiten müssen, die Schulpflicht „zwingt“ Kinder und Jugendliche regelrecht dazu, ihren Zugang zu Bildung wahrzunehmen.
Interessenkonflikte im Alltag
Im Alltag müssen kindliche Bedürfnisse trotzdem in vielen Situationen zurückstehen. Unbeschwertes Spielen ist vielerorts nicht erlaubt, weil es die Erwachsenen stören könnte. Spielplätze werden aus demselben Grund manchmal gar nicht erst gebaut, obwohl die Kinder genauso ein Anrecht auf ihren Platz im öffentlichen Raum haben. Das gehört genauso zur tagtäglichen Realität von Kindern und Jugendlichen dazu, wie Beschwerden über das Müllaufkommen und die Lautstärke von Familien mit mehreren Kindern oder die Weigerung, einem behinderten Kind den Besuch einer „normalen“ Schule zu ermöglichen.
Das Kindeswohl hat zwar Vorrang, trotzdem müssen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden oder sonstigen Institutionen keineswegs immer dementsprechend ausfallen: Das Kindeswohlprinzip muss beim Abwägen und Begründen berücksichtigt werden, bei sachlich ausreichender Begründung können die Belange von Kindern allerdings außen vor bleiben.
Kinderrechte in der Familie und in der Kita
Die Frage muss also lauten, wie sich Kinderrechte mit im Alltag wirklich spürbar umsetzen lassen. Das wichtigste und zugleich einfachste Mittel hierzu ist die aktive Beteiligung der Kinder. So können Entscheidung in der Familie beispielsweise gemeinsam getroffen werden, so dass das Recht auf Mitbestimmung gewahrt wird.
Natürlich ist „einfach“ in diesem Zusammenhang ein relativer Begriff: Eine gemeinsame Entscheidungsfindung erfordert einen längeren Lernprozess. Gleichzeitig vermitteln Sie Ihrem Kind so frühzeitig, wie es seine eigene Meinung formulieren und begründen kann – und dass ein Konsens oft nur dann möglich ist, wenn auch andere Meinungen als die eigene berücksichtigt werden.
Partizipation als Schlüssel zur Bildung
Eine derartige Beteiligung ist glücklicherweise heute auch Bestandteil des Kita-Alltags. Denn hier lernen die Kinder nicht nur vieles über sich selbst – Was kann ich schon alleine tun? Was hat das für Auswirkungen auf meine Umwelt? Wer kann mir helfen, wenn ich Hilfe benötige? –, sondern eben auch darüber, wie das Miteinander funktioniert. Selbstbestimmung und Beteiligung gewährleisten dabei, dass sich Kinder ganz nach ihren individuellen Bedürfnissen entwickeln können und mitentscheiden dürfen.
Partizipation wird im Kita-Bereich als Schlüssel der Bildung betrachtet. Problemlösungskompetenzen, Entscheidungsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit kann ein Kind nur lernen, wenn es aktiv am Leben um es herum teilnehmen kann. Dazu gehört etwa auch die Freiheit, sich Fähigkeiten eigenständig anzueignen und sich selbst zu bilden.
Funktionieren kann dieses Konzept aber nur, solange die „Grundregeln“ eingehalten werden: Kinder und Erwachsene müssen sich respektvoll und auf Augenhöhe begegnen. Kinder bestimmen in allen Belangen mit, von denen sie selbst betroffen sind – von der Gestaltung des Tagesablaufs bis zur Gestaltung der Räumlichkeiten. Regelmäßige Versammlungen, ein gemeinsam erarbeitetes Regelwerk und Entscheidungen durch Mehrheit oder Konsens gehören ebenfalls in einen Kita-Alltag.
So werden in der Kita genau jene Prozesse der demokratischen Bildung fortgesetzt und vertieft, die Sie in der Familie bereits angestoßen haben. Letztendlich sorgen die Kinderrechte dafür, dass Kinder von Anfang an zu starken, selbstbestimmten Persönlichkeiten werden können, die vor nichts Angst haben müssen.